• Der Synthesizer Podcast - zur Zukunft von Chemie und Gesellschaft

    Projekt “Chemiewende”: Über den Dienstweg zur Innovation

    Das Umweltbundesamt, kurz UBA, gehört in Deutschland zu den ersten Institutionen, die explizit eine Transformation der Chemie vorangetrieben haben. Schließlich ist es eine zentrale Aufgabe dieser Umweltbehörde, die Produktion und den Umgang mit Chemikalien wissenschaftsbasiert zu überwachen, zu managen und zu regulieren, um gesundheitlichen und ökologischen Schaden abzuwenden – gemäß dem UBA-Leitspruch “für Mensch und Umwelt”. Das ist keine leichte Aufgabe für eine staatliche Institution, denn sowohl Stoffe als auch das Industriekapital sind flüchtig, während sich andere Stoffe und Strukturen wiederum als sehr persistent erweisen. Die Transformation der Chemie bietet hier einen interessanten dritten Weg, nämlich einen kooperativen Ansatz mit dem Potenzial, alle Akteure trotz gegensätzlicher Interessen zusammenzubringen.

    Aber was heißt es genau, Wissenschaft, Staat und Industrie, Gesellschaft und Natur zusammenzudenken? Wie sieht es aus, wenn eine Umweltbehörde systemisch und systematisch auf eine nachhaltigere Chemie hinarbeitet? Und verändert das Projekt der Chemiewende auf ihrem ‘Marsch durch die Institution’ auch die Behörde selbst?

    In der 9. Folge des Synthesizer Podcast erörtern wir diese Fragen mit Dr. Klara Winkler und Dr. Christopher Blum, die beide in der UBA-Projektgruppe “Chemiewende” mitwirken. Dabei blicken die beiden aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf die Transformation.

    Dr. Klara Winkler arbeitet am UBA zu Industriewandel und Strukturpolitik. Sie betrachtet die Chemiewende ’sozialökologisch‘, im Kontext unterschiedlicher Ressourcen und regionaler Gegebenheiten. Als promovierte Nachhaltigkeitswissenschaftlerin hat sie vor ihrer Zeit am UBA an der Universität Lund in Schweden, an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und an der McGill University in Montreal, Kanada, gearbeitet und geforscht.

    Dr. Christopher Blum ist promovierter Biologe mit Ausbildungsstationen in Berlin, Freiburg, Edinburgh und Heidelberg. Er ist bereits seit Mai 2006 am UBA tätig. Als Experte für internationales Chemikalienmanagement ist er unter anderem an der Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren beteiligt und auch Erstautor einer der ersten wissenschaftlichen Publikationen, die das Konzept der nachhaltigen Chemie ausbuchstabiert. https://doi.org/10.1016/j.scp.2017.01.001

    Katalyse: Den ‚Stein der Weisen‘ neu erfinden

    Katalysatoren sind Stoffe, die chemische Reaktionen beschleunigen und steuern, die aber unverbraucht daraus hervorgehen. Sie sind eine Art “Vermittler” auf der Ebene chemischer Prozesse. 

    In der Biochemie von Organismen laufen katalytische Prozesse seit Jahrmilliarden ab – gleichzeitig und hocheffizient in allen Zellen. Seit fast 150 Jahren wird das Prinzip mit großem Erfolg auch industriell genutzt. Meilensteine der Technik und der Globalgeschichte, aber sogar unser Alltag hängt an dieser Technologie. Ihre Bedeutung wird drastisch klar in der Kunstdüngerproduktion: Mit der Synthese von Ammoniak aus atmosphärischem Stickstoff und Wasserstoff trägt Katalyse seit 100 Jahren entscheidend zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung bei. Und auch in der Petrochemie der Kunststoffe, Kraftstoffe, Lösungsmittel und Pharmaka sind Katalysatoren aus kaum einem Verfahren wegzudenken. 

    Heute, auf dem Weg zu einer „grünen und nachhaltigen Chemie“, ist Katalyse wiederum ein entscheidender Hoffnungsträger. Eine Chemiewende ohne Katalyse ist unmöglich. Es ist aber noch viel gemeinsame Forschung aus Chemie, Biologie und Biochemie notwendig, um nach dem Vorbild biokatalytischer Prozesse neue, industrielle Prozesse und Prozessarchitekturen aufzubauen, die mit weniger Energie, weniger Abfall und auf viel kleinerem Raum funktionieren. Lassen sich die Erfolge der „fossilen“ Katalyse für eine „postfossile“ Chemie mobilisieren? Kann sich eine „Wissenschaft im reifen Alter“ (Matthias Drieß) noch einmal neu erfinden? 

    Prof. Dr. Matthias Drieß ist Professor für Metallorganische Chemie an der TU-Berlin. Er war 2007 einer der Gründer und Sprecher des Exzellenzclusters „UniCat“ (seit 2019 „UniSysCat“) – einem der national und international wichtigsten Zentren der chemisch-biologischen Katalyseforschung.

    Umweltchemie: Zigtausend molekulare Gründe für eine globale Wende

    Chemikalienrückstände lassen sich an den entlegensten Orten der Erde nachweisen. In dieser Folge des Synthesizer Podcast liegt unser Fokus auf Orten, an denen chemische Stoffe unbeabsichtigt weiterwirken, nachdem sie in Laboren entwickelt und in industriellen Fertigungsprozessen oder im Alltag zum Einsatz kamen. Umweltchemiker:innen verfolgen die Spuren chemischer Produktion bis in die Arktis, in den Pazifik, in die Mägen von Pelikanen und das Erbgut von Orkas. 

    Mit neuen Nachweisverfahren und Messmethoden lassen sich chemische Stoffe und ihre Mischungen dort aufspüren, wo sie nicht hingehören, in der Umwelt wechselwirken, zu giftigen Substanzen zerfallen, sich gefährlich mischen, sich nicht abbauen, sondern sich in Körpern, Böden, im Wasser anreichern – mitunter sogar ewig. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn die chemische Industrie bringt Hunderttausende Stoffe auf den Markt und zur Anwendung und bereits verbotene Stoffe finden sich bis heute in der Umwelt wieder. 

    Die Umweltchemikerin Prof. Dr. Annika Jahnke ist den Stoffen mit einem Forschungsschiff gefolgt und bringt sie mit Chemometern zurück ins Labor. Sie ist Co-Leiterin des Departments für Expositionswissenschaft (Exposure Science) am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig, sowie Professorin für Exposom Analytik an der RWTH Aachen. 

    Elektro-Bio-Raffinerie: Die Mikroorganismen der Megatransformation

    Elektro-Bio-Raffinerien – schonmal gehört? In dieser Folge erklärt uns der Elektrobiotechnologe Prof. Dr. Falk Harnisch, was sich hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt. Er berichtet, welche biochemischen Prozesse es in Elektrobioraffinerien zu entdecken gibt und welche sehr speziellen, winzigen Akteure, nämlich ‘elektroaktive’ Bakterien, dabei eine zentrale Rolle spielen. Falk Harnisch und sein Team ‘füttern’ diese Mikroorganismen gezielt mit elektrischem Strom und nutzen ihre Fähigkeit, Abwasser ‘sauber zu fressen’, etwa in Kläranlagen, oder zum Aufbau umweltverträglicher Kunststoffe beizutragen.  

    Die Mikroebene der Bakterien und Elektronen macht die Elektrobiochemie zu einem der faszinierendsten Gebiete der Grundlagenforschung zur Chemiewende – ein echter Schauplatz wissenschaftlicher Synthese aus chemischer, biologischer und verfahrenstechnischer Forschung und Praxis. Auf welche Weise die Prozessprinzipien klassischer petrochemischer Raffinerien neu gedacht werden müssen, lassen wir uns von Falk Harnisch erläutern.

    Prof. Dr. Falk Harnisch ist Umwelt- und Biochemiker. Nach Stationen in Greifswald, Braunschweig, Queensland (Australien) ist er heute Co-Leiter des Departments für Mikrobielle Biotechnologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ Leipzig und Professor für Biochemie und  Biophysikalische Chemie an der Universität Leipzig.

    Von der Alchemie lernen heißt, transformieren lernen

    Chemisches Wissen ist Wissen von Transformationen. Das wichtigste Werkzeug dazu ist das Feuer – sowohl in der modernen Chemie als auch in der vormodernen Alchemie. 

    Die Bedeutung des alchemistischen, oft erstaunlich ganzheitlichen und non-binären Denkens ist in der Wissensgeschichte der Moderne wenig präsent. Dabei bietet gerade diese Tradition mit spannenden kulturellen Wissens- und Stoffgeschichten wichtige Ressourcen, um die Transformation der Chemie weiterzuführen und den engen, nur technischen Radius der Naturwissenschaft zu erweitern.

    Wir können wir die Feuer der fossilen Industrien so gut es geht löschen, ohne die Errungenschaften der chemischen Wissenschaft zu verlieren? Wie können Umweltforschung, Sozial- und Geisteswissenschaften und die Philosophie eine Transformation der Chemie unterstützen? Welche Formen und Foren des Austauschs fehlen uns in dieser Transformation?

    Prof. Dr. Jens Soentgen ist Philosoph, Historiker und ausgebildeter Chemiker. Wie kaum ein anderer in Deutschland forscht und publiziert er in der Verbindung von Chemie, Geschichte und Philosophie. Er ist Leiter des Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) an der Universität Augsburg, Mitbegründer und Herausgeber der Buchreihe ‚Stoffgeschichten‘. Mit seinen eigenen Büchern zum Stickstoff, CO2, zu Wasser, und in mehreren Bänden zur Frage ‚Wie man mit dem Feuer philosophiert‘, erreicht er sowohl akademisch als auch allgemein interessierte, junge und alte Leser:innen.